Medizinnobelpreis 1936: Henry Hallet Dale — Otto Loewi

Medizinnobelpreis 1936: Henry Hallet Dale — Otto Loewi
Medizinnobelpreis 1936: Henry Hallet Dale — Otto Loewi
 
Die beiden Physiologen erhielten den Nobelpreis für ihre »Entdeckungen zur chemischen Übertragung von Nervenimpulsen«.
 
 Biografien
 
Sir (seit 1932) Henry Hallet Dale, * London 9. 6. 1875, ✝ Cambridge 23. 7. 1968; ab 1894 Studium am Trinity College in Cambridge, 1909 Promotion, 1904-14 Forscher der Wellcome Physiological Research Laboratories, 1914-42 Mitglied, später Direktor des Medical Research Committees, 1942-47 Leiter des Scientific Advisory Committee des Kriegsministeriums.
 
Otto Loewi, * Frankfurt am Main 3. 6. 1873, ✝ New York 25. 12. 1961; 1896 Promotion, 1904 Professor der Pharmakologie in Marburg, 1905-09 an der Universität Wien, 1909-38 Professor in Graz, 1938 Emigration in die USA, ab 1940 Professor am College of Medicine der New York University, 1946 Einbürgerung.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die beiden Nobelpreisträger waren einander seit dem Vorabend des Ersten Weltkriegs freundschaftlich verbunden; seit damals hatten sie in freundschaftlicher Konkurrenz, doch in unterschiedlichen institutionellen Milieus, physiologische Forschungen betrieben, die jeweils die individuellen Vorlieben verrieten und sich trotzdem ergänzten. Im Kernbereich dieser gleichsinnigen Forschungsgeschichte, für die den beiden Forschern die Ehre des Nobelpreises zuteil wurde, standen die für das Leben der Nerven und die gesteuerte Aktivierung der Organe unverzichtbaren Botenstoffe oder Neurotransmitter. Die Hälfte des Nobelpreisgelds erwies sich allerdings für Loewi und seine Familie nicht einmal zwei Jahre danach auch als lebensrettend.
 
 Nervenimpulse und ihre Auswirkung
 
Otto Loewi beschäftigte sich zunächst besonders mit der Problematik des Eiweiß- und Kohlehydratstoffwechsels. 1902 veröffentlichte er in einer Abhandlung den Beweis dafür, dass Tierkörper entgegen früherer Behauptungen fähig sind, Eiweiß aus den Zerfallsprodukten dieses Stoffs, ja sogar aus Aminosäuren aufzubauen. Weltruhm erlangte er jedoch mit seinen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen dem Herzen und dem Nervensystem. Viele chemische Vorgänge im Nervensystem lebender Organismen waren um 1920 herum noch ziemlich unbekannt. Zwar war die Hypothese, dass die Weiterleitung von Nervenimpulsen an die Zielorgane wie Herz, Darm oder Drüsen nicht auf elektrischem, sondern auf chemischem Wege stattfänden, bereits Anfang des Jahrhunderts aufgestellt worden. Einen Beweis war die Wissenschaft allerdings noch schuldig. Mit einem einfach anmutenden Experiment lieferte Loewi 1921 sowohl den fehlenden Beweis wie auch eine Erkenntnisrevolution, auf der die heutigen Neurowissenschaften noch aufbauen. Der Forscher entnahm zwei frisch getöteten Fröschen das Herz und stellte den durch die Operation unterbrochenen Kreislauf künstlich durch Verwendung von Kanülen wieder her, die mit einer Nährlösung gefüllt waren. Dem einen Herzen beließ er die Nerven, während er sie beim anderen entfernte. Reizte er den für die Ökonomisierung (Verlangsamung und Schwächung) des Pulses zuständigen Nerv und führte er danach ein wenig Nährlösung des derart beruhigten Herzens in den künstlichen Kreislauf des anderen Herzens ein, verlangsamte er dessen Puls. Beschleunigte er dagegen den Puls des ersten Herzens durch Reizung des dafür verantwortlichen Nervs, wurde die Tätigkeit des anderen Herzens nach Zufuhr von Nährlösung aus dem ersten Herzen seinerseits beschleunigt. Damit war der Nachweis erbracht, dass die auf den Nervenbahnen wandernden Impulse nicht unmittelbar auf das Herz einwirken, sondern über die Vermittlung eines freigesetzten Stoffs die Herztätigkeit beeinflussen.
 
Nun mussten aber sowohl die Eigenschaften dieses Stoffs bestimmt wie auch die physiologischen Mechanismen seiner Entstehung und Wirkungsweise genau beschrieben werden. Die Tatsache, dass die Wirkung des für die Ökonomisierung der Herztätigkeit verantwortlichen Stoffs (auch »Vagusstoff« genannt) durch Adrenalin rückgängig gemacht wurde, ließ sich als Hinweis auf eine Verwandtschaft zwischen dem chemisch noch unbestimmten Vagusstoff und einer Cholinverbindung auslegen. Letztlich schrieb Loewi aber die erfolgreiche Identifizierung des Vagusstoffs mit dem Acetylcholin seinem Freund Dale zu, ohne seinen Anteil an der Aufklärung der komplexen Lebenschemie des Acetylcholins zu verkennen.
 
 Die Neurotransmitter
 
Henry Dale hatte nach dem Studium gegen den Rat seiner Kollegen eine gut dotierte Stelle bei der Firma Wellcome angenommen, wo er den Auftrag erhielt, die Wirkungen der Mutterkornextrakte zu untersuchen. Seine Forschung entfaltete sich in zwei Richtungen: Einerseits betraf sie die Natur des Histamins, eines beim Menschen unter anderem in Stammhirnregionen, Lunge, Blut und Speichel vorhandenen basischen, stickstoffhaltigen Gewebehormons, und andererseits das aus dem Mutterkorn durch Extraktion gewonnene Acetylcholin (ein leicht hydrolisierbarer Essigsäureester des Cholins), das dadurch auffiel, dass seine Anwendung jene Effekte hervorrief, die durch die Aktivität des parasympathischen Nervensystems auch hervorgebracht werden. Aber das Acetylcholin war noch in keinem lebenden Organismus nachgewiesen worden. Erst die Entdeckung hoher Konzentrationen dieses Stoffs in der Milz von Rind und Pferd durch Dale und seine Mitarbeiter schloss Zweifel am körpereigenen Ursprung des Acetylcholins aus. In weiteren Untersuchungen gelang der von Dale am National Institute for Medical Research geleiteten Expertengruppe der Nachweis, dass Acetylcholin nicht nur mit der Tätigkeit des parasympathischen, sondern auch mit derjenigen des sympathischen Nervensystems zusammenhängt und zudem auch an den Endungen der motorischen Nerven als Botenstoff in kleinsten Mengen freigesetzt wird, wodurch schließlich die Muskelfasern angeregt werden. Solche Studien über Neurotransmitter veranlassten Dale zu dem Vorschlag, die Nervenfasern funktionell nach der ausgeschütteten Substanz zu unterscheiden, das heißt beispielsweise die Fasern als »cholinerg« zu bezeichnen, die Acetylcholin produzieren, und jene als »adrenerg«, die Adrenalin absondern.
 
Die Verleihung des Nobelpreises fiel für beide Wissenschaftler mit dem Höhepunkt ihrer Forschungstätigkeit zusammen. Loewi rettete sein Leben und das seiner Familie nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich nur dadurch, dass er das Preisgeld den Nationalsozialisten überließ und ins Exil ging, wo ihm die Möglichkeiten zur Anknüpfung an seine Grazer Forschungen allerdings nicht mehr gegeben waren. Und Dale wurde nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch andere Aufgaben in Anspruch genommen. So wurde die von Dale in seinem Stockholmer Vortrag geäußerte Vermutung, dass Botenstoffe auch im Gehirn eine unverzichtbare Rolle innehätten, ein vielversprechendes Vermächtnis, das von diesen Neurochemikern kommenden Generationen hinterlassen wurde.
 
A. Métraux

Universal-Lexikon. 2012.

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